„Versteckt unter der Haut des Feindes“
Der jüdische Zeitzeuge Salomon Perel hat den Holocaust in der Uniform eines Hitlerjungen überlebt
„Schalom“. Mit diesem herzlichen Gruß (hebräisch: Frieden) empfängt Salomon Perel die Schüler der Realschule Spenge zu einer besonderen Geschichtsstunde. Denn Sally Perel ist ein jüdischer Zeitzeuge, der dank einer Lüge den Holocaust überlebte. Die Siebt- und Zehntklässler nehmen im Unterricht gerade das Thema durch. Mucksmäuschenstill lauschen sie den lebendigen Ausführungen des 84-Jährigen, der aus Israel angereist ist. Siebtklässler Ole ist beeindruckt: „Er vermittelt die deutsche Geschichte sehr anschaulich.“
„Vier Jahre lang habe ich unter einer falschen Identität gelebt“, berichtet Perel. „Ich war der Hitlerjunge Josef Perjell.“ Sein Leben unter den Nationalsozialisten beschreibt er 1992 in einer Autobiografie. Aktuell nimmt er die Schüler der Realschule mit in eine Geschichtsstunde, die die Brutalität und das Absurde dieser Zeit in einer eindringlichen Weise veranschaulicht, wie es nur die persönlichen Darstellungen eines Zeitzeugen vermögen.
Der 84-Jährige berichtet von einer glücklichen Kindheit. Bis 1935 die Nürnberger Rassengesetze in Kraft treten und Juden von nun an offiziell verfolgt werden. „Zusammen mit meiner Familie floh ich nach Polen.“
Nach dem Einmarsch der Deutschen 1939 beschließen seine Eltern das Unfassbare: „Wir trennten uns, meine Eltern wurden in ein Ghetto gebracht, ich floh.“ Heute weiß Perel, dass seine Eltern in dem Ghetto gestorben sind. Die Abschiedsworte seiner Mutter prägen sein Leben bis heute: „Sally, du sollst leben.“ Perel ergänzt: „Diese Worte haben mir stets Kraft geschenkt.“
Er schildert den Realschülern, dass er nur mit der Lüge, ein „Volksdeutscher“ zu sein, als Junge in Polen den Todesschüssen der deutschen Soldaten entgehen konnte.
Von nun an lebt er als Hitlerjunge Josef Perjell. „Die vier Jahre waren für mich vier Ewigkeiten, versteckt unter der Haut des Feindes“, berichtet Perel. Die Angst war ein ständiger Begleiter: „Ständig musste ich fürchten, entdeckt zu werden.“ Doch trotz Momente tiefster Verzweiflung habe er nie aufgegeben. „Ich lebte in zwei Welten, die eine wusste nichts von der anderen,“ berichtet Perel den Schülern von seiner inneren Zerrissenheit. „Nachts habe ich den Judenstern ans Fenster gemalt, am Tag in ,Rassenkunde’ gelernt, wie man einen Juden identifiziert.“ Teile der Ideologien verinnerlicht er sogar: „Ich verkleidete mich nicht nur als Hitlerjunge – ich wurde einer.“ Perel versuchte, sich seine jüdische Seele zu bewahren.“ Doch: „Ich begann mich zu hassen, weil ich Jude war und deshalb um mein Leben fürchten musste.“
Gefesselt lauschen die Schüler den Erzählungen. Die Zehntklässler Carlo und Annkathrin haben bereits sein Buch im Unterricht gelesen. „Es ist wirklich beeindruckend, ihn persönlich kennenzulernen“, sagt Annkathrin und Carlo ergänzt: „Es ist schwer, nachzuvollziehen, wieso die Ereignisse der Vergangenheit geschehen konnten. Der Vortrag hat dabei geholfen.“
Der Zeitzeuge gibt seinen jungen Zuhörern eindringliche Worte mit auf den Weg: „Schuld ist nicht erblich, aber werdet selber Zeitzeugen und gebt die Ereignisse weiter, damit die Fehler der Vergangenheit sich nicht wiederholen.“
Dank für eine besondere Geschichtsstunde: Realschulleiter Rainer Kalla (l.) überreicht Sally Perel (r.) einen Blumenstrauß. Der 84-jährige Zeitzeuge ist aus seinem Heimatland Israel angereist. Ermöglicht wurde der Vortrag durch den Lions-Club, vertreten durch Dr. Otto Wienke (hinten).
NW, Artikel von Mittwoch 02.12.2009